Vieles ist in den letzten Wochen über das neue Museum Brandhorst in München geschrieben worden, an dessen Fassade 36.000 farbig glasierte Keramikstäbe angebracht sind. Aber was ist vom Gesichtspunkt der Farbgestaltung das wirklich Besondere?
Der neue Museumsbau des Architekturbüros Sauerbruch-Hutton im Münchner Kunst-Areal in der Max-Vorstadt beherbergt die Kunstsammlung der Eheleute Brandhorst, die sie 1999 dem Freistaat Bayern schenkten. Auf einem schmalen, langen Grundstück entstand der rund 100 m lange Museumsbau, dessen Langbau 17, dessen Kopfbau 23 Meter in die Höhe ragt. Mit einer äußerlich wenig spektakulären Gebäudeform, die ein gewaltiges Volumen auf einem verhältnismäßig sehr kleinen, lang gezogenen Grundstück beherbergt, macht der Bau einen funktionalen Eindruck und löst die Aufgabe, Präsentationsort einer bedeutenden zeitgenössischen Kunstsammlung zu sein ohne architektonisch selbstdarstellerische Allüren. Trotzdem kann auch der Bau selbst, vor allem durch seine Farbigkeit, als künstlerisches Unikat erlebt werden.
Welche Farbe hat die Fassade?
Normalerweise kann man eindeutig sagen, welche Farbe ein Gebäude hat: rot, blau, ocker, weiß, betongrau usw. Aber welche Farbe hat dieses Museum? Die Architekten verraten uns, dass es sich um insgesamt 23 verschiedene Farbnuancen handelt, die auf die Keramikstäbe aufglasiert wurden. Das hätten wir nur mit Mühe vor Ort analysieren können, hätten wir doch einige Zehntausend Stäbe mit Sinn und Verstand anschauen müssen! Dazu kommt, dass die Stäbe den Blick auf eine darunter liegende gefaltete Blechhaut freigeben, die ebenfalls in verschiedenen Farbtönen lackiert ist (allerdings in einem ruhigeren Wechsel), und die Farbigkeit der Blechhaut erzeugt stets andere Wechselwirkungen mit der Farbigkeit der Stäbe. Wichtiger als die exakte Zahl der Einzelnuancen ist jedoch, dass die Stäbe samt der darunter liegenden Bleche in Gruppen geordnet sind: eine helle, eine mittelhelle, eine dunkle Gruppe. Dabei wirkt die dunkle Gruppe eher kühl, verschattet, schwer, die helle Gruppe pastellig-pudrig, leicht und weder warm noch kalt, und die mittelhelle Gruppe eher warm, aktiv, lebhaft.
Bezogen auf die Gebäudeform sind die drei Farbgruppen so verteilt, dass der Eindruck erweckt wird, das Bauwerk bestehe aus drei ineinander verzahnten Einzelvolumen. Der Kopfbau ist hell, der Oberteil des Langbaus mittelhell gehalten – die dunkel begleiteten Gebäude-abschnitte sind jedoch sowohl dem Lang- als auch dem Kopfbau zugeordnet. Und so wird in Verbindung mit der Dunkelheit der Fensterflächen der Eindruck eines dritten Volumens hervorgerufen, das die andern trägt, durchdringt bzw. aufbricht.
Auf die Frage nach der Farbe der Fassade lautet die Antwort: Sie schimmert farbig in drei Farbklang-Gruppen, die das Gebäudevolumen intelligent ausdeuten. Eigentlich erübrigt es sich, in diesem Zusammenhang von „Farbtönen der Fassade“ zu sprechen: Wo Volumen farbig stimmig ausgedeutet werden, gibt es keine Fassade mehr im Sinne von „Schauseite“, Fläche, Oberfläche… Auch Bezeichnungen wie „schmückende“ oder „ästhetische“ Farbgebung sind hinfällig, wenn die Eigenschaft, Farbatmosphäre zu verbreiten, vom Architekten als selbstverständliche Grundqualität eines Bauwerks (Baukörpers) verstanden wird.
Schwebende Tiefenwirkung: Die Befreiung der Farbe vom Material
Schaut man sich die Architektur-Besprechungen großer Magazine und Tageszeitungen zum Äußeren des Brandhorst-Museums an, findet man Formulierungen wie „irrwitzig bunt“, „kunterbunt“, „irritierend“, schrill“, „modisch“. Doch diese Bezeichnungen werden der Farbgestaltung nicht gerecht. Der Eindruck des Museums ist ja gerade nicht bunt (d.h. voll ungeordneter, um Aufmerksamkeit konkurrierender Kontrastwirkungen), sondern farbig (d.h. in der Art sinnvoll gestalteter Wechselverhältnisse). Mehr noch: Durch die kleinteilig und in verschiedenen Ebenen angeordneten Simultankontraste scheint die Farbigkeit sowohl vor dem Bauwerk zu schweben (bei entsprechend großem Betrachterabstand) als auch substantiell mit ihm verbunden zu sein (vor allem bei kleinem bis mittlerem Abstand). Der Betrachter spielt dabei eine wesentliche Rolle: Je nachdem, wie er blickt, verändert sich das Angeschaute auf interak-tive Weise – wenn man überhaupt vom „Angeschauten“ sprechen kann: Ist es nicht auch ein Bewusstwerden des eigenen Schauens, das da sichtbar wird?
Die Detailaufnahmen zeigen die gefalteten, perforierten und dadurch schallabsorbie-renden Bleche samt der davor liegenden Keramikstäbe in unterschiedlichen Blickwinkeln: Blickt man seitlich auf die Stäbe, sind die Bleche mehr oder weniger unsichtbar. Schaut man frontal darauf, sieht man mehr Bleche als Stäbe! Je nach Tageslicht ändert sich das Bild: Direktes Sonnenlicht erzeugt sowohl glänzende Reflexionen auf den Stäben als auch ein Schattenmuster der Stäbe auf den schrägen Blechoberflächen – beides verändert die Gesamtfarbigkeit stark gegenüber diffusem Licht, das dem Bauwerk ein geradezu weiches Aussehen ver-leiht. Hinzu kommt die unterschiedliche Verschattung der Bleche durch ihre wechselnd schräge Anordnung, die sich von Stunde zu Stunde ändert… Sowohl in der Nah- als auch der Fern-betrachtung hält das Museum Brandhorst unzählige Farberlebnisse bereit, die immer neu und unerwartet sind.
Ein heiteres, dialogfähiges Monument
Auch die Frage, ob das Bauwerk „angemessen“ Bezug auf die bauliche Umgebung nimmt, wird in vielen Architekturkritiken thematisiert. Aber worauf soll denn – bezogen auf den Stil des baulichen Auftretens – Bezug genommen werden? Auf den schroffen, beziehungsresistenten grauen Betonsarkophag der Pinakothek der Moderne? Auf die Nachkriegs-Wohnbebauung, die überwiegend schlichten Charakter zeigt? Auf die ehrwürdige Klinkerfassade der Alten Pinakothek…? Klar ist: In dem heterogenen Milieu hätte ein selbstherrlicher Solitär nur noch mehr Verwirrung gestiftet. Doch durch die innovative Farbgestaltung des neuen Museums wird der Umgebungsbezug souverän gemeistert: Aufgrund seiner schwebend-offenen Farbigkeit ist das Bauwerk dialogfähig. In erstaunlicher Großzügigkeit lässt es seiner Umgebung Raum zur Entfaltung, und bereichert das Quartier zugleich mit seinem eigenen, prägnanten Charakter. Ein heiteres Monument, das „Farbe bekennt“, indem es Farbigkeit verströmt.