Mit dem Kopf durch die Wand

ZUR AUFGABE VON FARBGESTALTUNG IM AUSSENRAUM

Wie wir bauen
Oft ist die Welt mit Mauern verstellt. An der Wand endet der Weitblick und kehrt sich in Perspektivlosigkeit um. Mauern sind überall: In Form von Zwängen, denen man sich unterwirft, oder denen man meint, unterworfen zu sein.

Funktional geplant für eine Welt jenseits der Sinne

Funktional geplant für eine Welt jenseits der Sinne

Zu enge Weltbilder sind Mauern. Zu glauben, es gäbe den freien Willen nicht, engt das Leben ein. Zaghafte Lebensentwürfe setzen Grenzen. All das bildet sich in der Art ab, wie wir bauen. Aber zum Glück gibt es Farben!

Der Sprachgebrauch versteht zweierlei unter Farben: die Farbe als Material (die der Maler oder Kunstmaler verarbeitet) und die Farbe als Empfindung (die Inhalt des Bewusstseins ist). Diese zweite Art Farbe lässt sich weder wiegen noch abfüllen, kann sich glutheiß oder frostig kühl anfühlen, lässt uns Freude, Gelassenheit, Entspannung und unzählige andere Empfindungen erleben. Die Farbe als Empfindung ist eine Brücke, die den Menschen mit der Welt durch das Gefühl verbindet.

Farbigkeit einer natürlichen Landschaft

Farbigkeit einer natürlichen Landschaft

Eine Welt, deren technische Abläufe immer seelenloser und deren Entscheidungsträger immer einfallsloser werden, bedarf der gestalteten Farbigkeit wahrscheinlich dringender als jedes Konjunktur-Programms.  – Die Farbigkeit der Natur bewusst zu erleben, sie als Botschaft, als Mitteilung zu verstehen, kann weit über die alltäglichen Begrenzungen hinausführen. Und warum sollte dieses grenzenlose Wesen farbiger Erscheinungen dort, wo wir Häuser bauen und anstreichen, abrupt enden?

 

 

Fix und fertig
Wenn alles fertig und vorbestimmt ist, die Ausbildungs- und Lehrpläne feststehen, die Hirnforschung und Gentechnik stereotype Antworten auf diegrößten Lebensfragen gibt, der Klimawandel gegen nicht hinterfragte Industrie-Arbeitsplätze aufgerechnet wird („nach mir die Sintflut“) und der persönliche Rückzahlungsplan für den Baukredit auf 20 Jahre feststeht und zum Lebensziel wird – dann ist der Mensch auch fertig. Fix und fertig. Warum sollte er sich auf morgen freuen? Was kann ihn noch erwarten? Sicher: Die Krawalle in Griechenland und seinerzeit in Frankreich lassen sich nicht mit ein paar farbigen Wänden verhindern. Und doch: Perspektivlosigkeit – auch im Denken und Fühlen – ist eine Fratze, die die Meinungsbildner und Entscheidungsträger einer Gesellschaft anderen vorleben, und mit diesem Nihilismus die Zukunft bereits geistig zerstört haben. – All das schreibe ich als Kommentar zu den drei Bildern dieses Beitrags: eine graue Wand an irgendeinem Supermarkt, ein Gebirge im Sonnenlicht, über das Wolken ziehen, und eine Synthese aus beiden Bildern: die Farbigkeit des Gebirges auf der einst grauen Wand des Supermarkts (eine Studie von Jürgen Opitz).

 

 

Farbentwurf im Stil „organischer Farbigkeit“

Farbentwurf im Stil „organischer Farbigkeit“

Farbe öffnet Räume
Wer öffentliche Räume gestaltet, darf die Menschen, die sich in diesen Räumen aufhalten, nicht demoralisieren, indem er sie ständig in viel zu enge Grenzen weist. Er sollte zu deren Bildung beitragen! Bildung findet nicht nur in der Schule oder der Ausbildungsstätte statt: Alles, was wir sehen, hören, riechen, denken, fühlen… bildet uns. Architektur ist ein mächti-ges Bildungsinstrument! (Das Wort Bildung stammt vom Wort Bild ab.) Wer mit der Kopf gegen eine Wand rennt, und die Welt endet für ihn an der Wand, hat weniger Kraft als einer, dem sich die Wand wie eine Einladung zeigt, hinzuschauen, mit wacher Aufmerksamkeit zu betrachten, Neues oder Vertrautes, Geliebtes, Spannendes, Öffnendes… zu entdecken.
Dabei ist die farbige Wand in unserem Beispiel weder spektakulär noch besonders „schön“ noch ein Kunstwerk. Sie ist einfach farbig, so wie die Natur farbig ist, aber in der formalen Umsetzung wird die Farbigkeit nach ganz eigenen Gesetzen geometrisch geordnet.

Kunst am Bau
Es wird von Ihnen nicht verlangt, lieber Leser, dass Sie völlig begeistert sind und die Wand „toll finden“. Mit der Studie möchten wir zeigen, dass Architektur-Farbgestaltung Aufgaben hat, die weit hinausgehen über Funktionen wie Bautenschutz, Kennzeichnung, Information, Schmuck und Dekor, Werbung und Auffälligkeit, Expressivität, Interpretation des Baukörpers und so weiter. Dadurch ist Farbgestaltung aber noch lange nicht Kunst, und soll es auch nicht sein! „Kunst am Bau“ wurde erfunden, um zum Lebenserhalt „brotloser Künstler“ beizutra-gen. Nimmt man Kunst am Bau wörtlich, hieße das: Architektur hat gar nicht den Anspruch, Baukunst zu sein, man muss Kunst addieren, damit das Bedürfnis des Menschen nach Sinn-lichkeit befriedigt wird, und einem Bauwerk ohne drangehängte Kunst fehlt etwas Wesentli-ches. Trotzdem: Die graue Mauer ist keine Baukunst. Sie ist Ausdruck der Sparsamkeit, wohl auch der Ignoranz oder Hilflosigkeit eines Bauherrn. Die farbige Wand ist damit nicht zwangsläufig Kunst am Bau: Sie ist nichts anderes als das „farbig zu Ende empfundene Bauwerk“ (wie der Farbgestalter Friedrich Ernst v.Garnier es formuliert), das im Blickfeld eines empfindungsbegabten Betrachters erscheint. Die Wand wird weder verschleiert noch ver-harmlost – nur vom Betrachter aus gedacht und gefühlt, nicht vom Baumaterial aus.

Vielleicht können Initiativen wie „Kunst am Bau“ dafür sorgen, dass solch farbige Wände viel öfter realisiert werden – denn die differenzierte Farbigkeit kostet ein Vielfaches des grau-en Anstrichs. Aber wofür sollen wir sparen? Um Versicherungen und Entschädigungen für Vandalismus zu zahlen? Um mit Milliardensubventionen lieber überflüssige Konsumprodukte herzustellen („die Wirtschaft anzukurbeln“) als einige Maler mehrere Tage sinnvoll zu beschäftigen? Den Konsum zu steigern, ist das Ideal einer „fertigen“ Politik, der nichts mehr einfällt außer „Masse statt Inhalt“. Warum steigern wir nicht unsere Lebensqualität, die Auf-enthaltsqualität der öffentlichen Räume, das Kulturniveau unseres Umgangs mit Wänden, mit Grenzen jeder Art. Farbe ist grenzenlos. Wachsen wir in die Farbigkeit hinein!

Kategorie: Außenraum, Gestaltung + Design

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